Donnerstag, 18. April 2013

Drogen und soziale Panik

Die Studie des Centro Brasileiro de Informações Sobre Drogas Psicotrópicas (Cebrid, Brasilianisches Zentrum für Informationen zu psychotropen Substanzen, Anm.) von der Universidade Federal de São Paulo (Unifesp, Universität São Paulo, Anm.), liefert einige Anhaltspunkte, welche Auswirkungen das wachsende Crack Problem auf die Bevölkerung hat. In einer Erhebung haben 77,1 Prozent der Befragten, die ein- oder zweimalige Verwendung im Leben von Kokain oder Crack, als gravierendes Risiko eingeschätzt, während der Wert für Marihuana, bei 48,1 % lag. Die ein- bis zweimalige Einnahme pro Woche von Alkohol stellte für 20,8 % der Befragten ein großes Risiko dar. Die Daten betreffend Crack bestätigen das, was unter Brasilianern als common sense gilt: dass die Droge „beim ersten Zug“ süchtig macht, dass sie schnellen körperlichen und moralischen Abbau verursacht, dass sie familiäre Destrukturierung verursacht und sehr schnell tötet, etc.

Sergio Alarcon bestätigt, dass Ursache und Wirkung sehr oft verwechselt werden, wenn es um Crack geht. „Crack ist keine andere Droge als Kokain: Es ist das Kokain selbst, das zu einer rauchbaren Mischung verarbeitet wird. Der Erfolg der Droge hat mit den niedrigen Kosten ihrer Produktion und der Beschaffung zu tun. Crack ist zum Kokain der ärmeren Bevölkerungsschichten geworden. Es hat nur die anderen Drogen ersetzt, die schon immer gegen den physischen und moralischen Schmerz verwendet wurden, der durch die Armut erzeugt wird. Crack entblößt die menschliche Not vor denjenigen, die sie sicherlich in der Unsichtbarkeit bevorzugen“, führt er aus. Tarcidio Andrade fügt hinzu, dass die Droge wie gemacht ist, für einen von der Armut gekennzeichneten sozialen Kontext. „Wenn man sagt, dass jemand, der Crack verwendet, auf der Straße, ja in der Gosse enden wird, vergisst man, dass die Straße und die Gosse schon vor dem Crack existiert haben. Und wahrscheinlich stellt das Crack für die Leute, die auf den Straßen unter extrem benachteiligten Bedingungen leben, eine Unterstützung dar, um ihren Gemütszustand, angesichts einer schrecklichen Realität, zu verbessern. Crack ist ein Stimulans, ein Antidepressivum, es lindert den Hunger von schlecht Ernährten. Auch wenn es einen Suchtkreislauf gibt, hat dieser nicht mit der Droge begonnen, sie tritt erst in einem sekundären Moment ein“, schließt er.

Die größte Schwierigkeit, die das Crack mit sich bringt, so Alarcon, ist es nicht, die gewalttätigen Süchtigen zu behandeln, sondern es zu schaffen, die Armut, die viele Menschen erst zur Droge bringt, zu beenden. „ Alle, die auch nur die geringste Ahnung von psychischer und öffentlicher Gesundheit haben, wissen was man machen kann und wie man es machen kann, und deshalb wollen wir die Implementierung von öffentlichen Einrichtungen, die von der SUS (Sistema Único de Saúde, öffentliches Gesundheitssystem, Anm.) empfohlen werden. Das Schwierigkeit liegt darin, wie man es schaffen kann diese Leute aus der extremen Armut zu retten und wie man es vermeiden kann, dass weiterhin extrem arme Menschen fabriziert werden, verlassene Kinder und Jugendliche, die einmal auf den Straßen, auf andere Drogen treffen werden, die viel zerstörerischer sind als Crack, wie die sexuelle Ausbeutung, ansteckende Krankheiten und extreme Gewalt, die Gewalt des Staates mit eingeschlossen“, sagt er.

Im Artikel Causa mortis em usuários de crack (Todesursachen von Crack-Rauchern, Anm.), der 2006 veröffentlicht wurde, haben Forscher des Fachbereichs Psychiatrie der Universität São Paulo dargelegt, dass die Sterblichkeit dieser Menschen viel mehr mit Gewalt und Anfälligkeit für ansteckende Krankheiten in Verbindung steht, als mit dem eigentlichen Substanzkonsum. Die Studie hat 131 Cracksüchtige in São Paulo, die sich selbst in eine Entzugsstation eingeliefert hatten, fünf Jahre lang begleitet. Nach Ablauf der fünf Jahre sind von den 124 Patienten, die ausfindig gemacht wurden, 23 gestorben, wobei 13 ermordet wurden.

Weitere sechs Patienten sind an Folgen von AIDS gestorben und einer an Hepatitis B. Weitere zwei Patienten sind an einer Überdosis gestorben und einer ist ertrunken.
Die Hälfte der verstorbenen Patienten war jünger als 25. Die Studie hat gezeigt, dass es für einen Cracksüchtigen, während des Studienzeitraums in São Paulo, sieben Mal wahrscheinlicher war zu sterben, als für die allgemeine Bevölkerung.

„Viele Crack-Raucher verwenden die Droge, weil sie dadurch mehr Energie haben und sie müssen ja längere Zeit wach sein, weil sie in sehr lebensbedrohlichen Situationen leben. Es ist eine Illusion, was in Bezug auf das Crack in Umlauf gebracht wird, nämlich dass es übermächtig ist und schnell tötet. In Wirklichkeit haben diese Menschen ein sehr fragiles Leben, aber nicht notwendigerweise nur wegen dem Crack“, legt Marco Aurélio dar.

Die Forscher der Universität São Paulo, Ligia Bonacim Duailibi, Marcelo Ribeiro und Ronaldo Laranjeira überprüfen im Artikel „Perfil dos usuários de cocaína e crack no Brasil“ (Profil von Crack- und Kokainkonsumenten in Brasilien, Anm.) andere akademische Artikel, die über das Thema in Datenbanken und in der Dissertationsdatenbank der Coordenação de Aperfeiçoamento de Pessoal de Nível Superior (Capes) verfügbar waren. Laut dieser Erhebung ist ein typischer Cracksüchtiger jung, arbeitslos, hat geringe Schulbildung, hat wenig Geldmittel, kommt aus einer destrukturierten Familie, hat eine Vorgeschichte mit injizierbaren Drogen und risikoreiches Sexualverhalten. Diese Faktoren, so der Artikel, machen den Crackkonsumenten zu jemanden, der schwer von einer Behandlung zu überzeugen ist, deshalb besteht die Notwendigkeit, intensivere und geeignetere Ansätzen in jeder Phase der Behandlung einzusetzen.“

Außerdem werden im Artikel andere Schwierigkeiten zur Beibehaltung der Behandlung dargelegt: „Der Konsum wird nicht als Problem anerkannt, abgesehen davon ist der illegalen Status und die Kriminalität, die mit der Droge in Verbindung steht, ein Problem, außerdem kommt es zu Stigmatisierung und es gibt Vorurteile, und schließlich fehlen Zugangsmöglichkeiten zu existierenden Einrichtungen oder die Akzeptanz dieser Einrichtungen.“ Unter den Hilfestellungen, die größere Zustimmung finden, sind die Drogenersatztherapie, Selbsthilfegruppen, Behandlung von Müttern und der Familie und allgemeinmedizinische Behandlungen. Die Forscher schließen mit der Behauptung, dass die Informationen bezüglich des Crack- und Kokainkonsums in Brasilien „noch jenseits des Wünschenswerten sind, im Speziellen, wenn öffentlichkeitspolitische Aktionen nur zu erahnen sind, die wissenschaftliche Beweise berücksichtigen und die Fähigkeit haben, auf alle Besonderheiten einzugehen, die mir der Vorbeugung und der Behandlung dieser Substanzen zu tun haben.
Andererseits, wurden in den letzten 20 Jahren ein wachsendes Bewusstsein für das Thema festgestellt […] Neue epidemiologische Studien und Erhebungen sind in allen untersuchten Bereichen notwendig.“

Die Reportage der Poli hat die Pressestelle des Gesundheitsministeriums kontaktiert, um einen Interviewtermin festzulegen, wurde aber darüber informiert, dass das Amt nicht über das Thema spreche.


von André Antunes

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