Donnerstag, 1. Mai 2014

Exklusion durch Distanz und die Ablehnung der Stadt



Der Artikel von Fernando Luiz Lara handelt von abgeschlossenen Wohnanlagen und seinem Vorschlag der Ablehnung der traditionellen Stadt. Er stellt aber auch die notwendige Verbindung des Themas mit den Protesten “passos livre” her, von denen die Straßen seit der ersten Juniwoche eingenommen wurden.

Die Verbindung besteht darin, dass die selbe Logik, die geschlossene Wohnanlagen fördert, auch einen Großteil der Brasilianer, für viele Stunden täglich, zu einem teuren und ineffizienten öffentlichen Transport verurteilt: die Logik der Exklusion durch Distanz.

Von der Ankunft der Portugiesen bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, hat diese Logik in eine einzige Richtung funktioniert, die besagte: je näher am Zentrum (wo immer die beste Infrastruktur konzentriert war), desto teurer.

Während vieler Jahrhunderte, wurden die Ärmeren an die Peripherien der Stadt gedrängt, wo der Grund billiger war, oder auf die Hügel und in überschwemmtes Land, das deswegen keinen Wert hatte, auch wenn es näher am Zentrum war. Die induzierte (und deshalb verfrühte) Vertikalisierung, die in Rio und in São Paulo seit den 1940er Jahren eingetreten ist, - Copacabana und Higienópolis zum Beispiel- war eine Art, um teuren Raum zu schaffen, der noch nahe an den Zentren der jeweiligen Städte war, wo alles Wichtige passierte. Das Wachstum der Automobilindustrie in Brasilien in den 1950er Jahren beginnt diesen Zustand zu ändern und ermöglicht eine beginnenden Suburbanisierung, wie in Nordamerika. Klassische Beispiele dafür sind Morumbi und São Conrado.

Ab den 1970er Jahren wurden durch den Bau von Autobahnen im Rahmen des „primeiro PAC“ (Wachstumsprogramm, Anm.) der Bau der ersten geschlossenen Wohnanlagen erleichtert, die bekannteste davon Alphaville de Barueri. Diese Zeit wurde auch die Zeit des brasilianischen Wunders genannt. Es ist interessant zu verstehen, dass der Vorschlag der geschlossenen Wohnanlagen auf der Idee „zurück zur Natur“ basiert, also auf einem idyllischen und pastoralen Lebensstil. Diese Idee hat ihre Wurzeln im angelsächsischen Modell, demzufolge die Natur reinigt, die Stadt, im Gegensatz dazu, pervertiert. Im mediterranen Modell sind die Stadt und die Natur zwei komplett getrennte Einheiten und die Zivilisation ist immer nur im urbanen Raum ansässig, niemals auf dem Land.

Ein fundamentaler Widerspruch liegt darin, dass die geschlossenen Wohnanlagen in der Realität eine Bedrohung für die Natur darstellen. Der Vorstoß auf die peripheren Gebiete entfernt die natürliche Vegetation und weitet die Grenzen des bewohnbaren Raumes aus, wobei Asphalt, Stromnetz und Rasen die ursprüngliche Landschaft ersetzen. Die Arbeit von Professorin Regina Horta Duarte da UFMG (DUARTE, 2012) zeigt diesen Prozess, noch zu Beginn, in den 50er Jahren.

In letzter Zeit haben die geschlossenen Wohnanlagen in Brasilien den Diskurs des nordamerikanischen New Urbanism aufgenommen. Der als Reaktion auf den Prozess der Suburbanisierung in den USA entstandene New Urbanism schlägt dichter besiedelte Städte vor, die weniger von Autos abhängig und vielseitig sind (Geschäfte und Wohnbereiche gemeinsam).
Genaugenommen hat der New Urbanism eine konservative Ästhetik aufgenommen (LARA, 2001) und war erfolgreich in exklusiver und homogener Parzellierung, in einem sozioökonomischen Standpunkt. Die Logik der Exklusion durch Distanz war durch den New Urbanism nie gefährdet, und aus Konsequenz daraus, hat er sich auch nie dazu geeignet existierende Städte zu verbessern.

Hingerissen von der Idee, dass die Stadt der Ort der Armut und des Protestes sei, verlässt die höhergestellte Mittelschicht in den vereinigten Staaten in den 1960er und 70er Jahren und in Brasilien in den 80er und 90er Jahren, die urbanen Zentren mit ihrer ganzen Infrastruktur und zieht sich in die geschlossenen Wohnanlagen zurück. Im brasilianischen Fall, gibt es einen erschwerenden Umstand, nämlich den, dass diese Wohnanlagen weniger dicht besiedelt sind, mehr vom Auto abhängig und absolute Wohngegenden sind, also das perfekte Gegenteil zu den Vorschlägen des New Urbanisms. Aber die konservative Ästhetik und die Idee der Rückkehr in eine idyllische Vergangenheit, verkauft sich gut (LARA, 2011) außerdem natürlich, die Schwierigkeit des Zugangs, die mit dem magischen Wort übersetzt werden kann: Exklusivität.

Exklusivität ist die geschmackliche (und deshalb gut verkäufliche) Schwester des Wortes Exklusion. Die Distanz, durch die geschlossenen Wohnanlagen vom Rest der Stadt getrennt werden, ist eine Art von unsichtbarer Mauer, die die Nicht- Diversität jedes einzelnen Stückes fruchtbarer Erde garantieren.

Ich verwende hier den Begriff fruchtbare Erde, weil sie, die Erde, die Wurzel des ganzen Prozesses der Exklusion ist, den wir auf die harte Tour demolieren werden, zwischen Gummigeschossen und Tränengas, wie am 13. und 17. Juni 2013. Das liegt daran, dass die Revolution des „passe livre“ ein extrem wichtiger Schritt wäre, um die perverse Logik der räumlichen Exklusion zu demontieren oder wenigstens abzuschwächen. Mit einem öffentlichen Transportsystem, das gratis, oder wirklich subventioniert wäre, würde sich ein starker Preisvorteil für Grundstücke der Peripherie ergeben. Das ist der Schlüssel der Frage, die in der näheren Zukunft gelöst werden muss. Ich dachte, dass die Weltmeisterschaft uns kein Vermächtnis hinterließe und verstehe jetzt, dass ich falsch lag. Die Proteste sind das größte Vermächtnis der Weltmeisterschaft 2014.

Fernando Luiz Lara ist Architekt und Professor der University of Texas at Austin, wo er derzeit das Brazil Center no Lozano Long Institute of Latin American Studies leitet.



DUARTE, Regina H. (2012). “It Does Not Even Seem Like We Are in Brazil”: Country Clubs and Gated Communities in Belo Horizonte, Brazil, 1951–1964, Journal of Latin American Studies / Volume 44 / Issue 03 / August 2012, p. 435-466.
LARA, Fernando (2001). Vizinhos do Pateta. Arquitextos, São Paulo, 01.011, Vitruvius, abr 2001 <http://www.vitruvius.com.br/revistas/read/arquitextos/
01.011/899>.
LARA, Fernando (2011). New (Sub)Urbanism and Old Inequalities in Brazilian Gated Communities, Journal of Urban Design, Volume 16, Issue 03, p. 369-380.