Dienstag, 26. März 2013

„Das neue Gesetz bedeutet einen zivilisatorischen Fortschritt, der spät kommt“, sagt der frühere Arbeitsminister

Der Ökonom Walter Barelli glaubt, dass die Zustimmung zum PEC (Proposta de Emenda da Constituição, Vorschlag zur Abänderung der Verfassung, Anm.) Entlassungen mit sich bringen wird - und dass die Realität der brasilianischen Hausangestellten sich mehr und mehr an die der Europäischen und Nordamerikanischen anpassen sollte.

Der Fortschritt der Wirtschaft, der in den letzten Jahren tausende neue Jobs geschaffen hat, wird für das Ende, zumindest einer Art von Arbeit verantwortlich sein: die Arbeit der Hausangestellten. Unverwechselbare weibliche Karikatur, literarische Figur, Protagonistin von Telenovelas und hingebungsvolle Gegenwart in den Heimen der brasilianischen Mittelschicht, wird der Beruf der Hausangestellten der Vergangenheit angehören, genau so wie es in den entwickelten Ländern eingetreten ist. In der kommenden Woche wird dem Proposta de Emenda da Constituição (PEC) nº 66/2012, der auch PEC der Hausangestellten genannt wird, wahrscheinlich im Senat zugestimmt. Der Vorschlag sieht die Erweiterung der Rechte dieser Arbeitskategorie vor- und als Konsequenz daraus die Verteuerung der Kosten für Familien. In der Beurteilung des früheren Arbeitsministers, des Ökonomen Walter Barelli, bedeutet der konstitutionelle Schutz paradoxerweise die Verbesserung und gleichzeitig das Ende dieser Arbeit - wenigstens in der Form, in der sie bisher geleistet wurde.

In einem Interview auf der Site der VEJA, argumentiert Barelli, dass es offenkundig ist, dass einige Arten von Berufen nicht weiter existieren werden - oder selten werden, genauso wie Brasilien mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und dem Arbeitnehmerentgelt vorankommt. „Das neue Gesetz ist ein zivilisatorischer Prozess, der spät kommt. Als Konsequenz daraus wird die Tendenz dahin gehen, dass Hausangestellte nur sehr wenigen Familien vorbehalten sein werden. Die Hausangestellten werden sich den Anforderungen  nicht mehr unterwerfen“ sagt der Ökonom, der auch secretário de Relações com o Trabalho (Staatssekretär für Arbeitsbeziehungen, Anm.) in den Regierungen von Mário Covas und Geraldo Alckmin (in São Paulo, Anm.) war.

Der Anstieg der Löhne dieser Berufsgruppe ist bereits in allen Regionen des Landes Realität. Nur mehr wenige verdienen den Mindestlohn von 678 Reais. Auch wenn die finanzielle Situation und die Rechte verbessert werden, die dann nahe an dem Standard sind, der von der Consolidação das Leis do Trabalho (CLT, legislative Norm, die die Arbeitsbeziehungen regelt, Anm.) erwartet wird, geht die Tendenz dahin, dass Berufe bevorzugt werden, die weniger anstrengend sind. Der Lohn einer Verkäuferin zum Beispiel kann sogar mit dem Verdienst einer Hausangestellten verglichen werden. Aber von vielen Frauen wird die Arbeit als Hausangestellte nicht als angenehme Arbeit angesehen. Nicht wegen der Art der Tätigkeiten, sondern wegen der Anstrengungen“, bekräftigt der Ökonom. Im Folgenden Teile des Interviews.

Die Entwicklung des Bildungswesens und des Arbeitsmarktes hat das Angebot an Hausangestellten vermindert. Was sind die Auswirkungen dieser Situation auf den Arbeitsmarkt?
Wir müssen darauf schauen was in anderen Ländern passiert ist, so wie den USA und einigen europäischen Ländern, wo die Person der Hausangestellten nicht so üblich ist, außer in sehr wohlhabenden Familien. In Brasilien ist die Anstellung an sich nicht eine der Besten. In Wahrheit ist sie eine der Schlechtesten, was die Regulierungen betrifft. Viele Menschen haben sich mit dieser Arbeit abgefunden, weil sie keine anderen Möglichkeiten hatten, aber mittlerweile gibt es nicht mehr viele Leute, die dieser Art von Verpflichtung nachkommen wollen. Es gibt andere Möglichkeiten am Arbeitsmarkt. Das ist die große Veränderung. Wer arbeiten möchte findet eine Stelle. Vielleicht nicht im Traumberuf, aber es gibt viele Optionen. Der Lohn einer Verkäuferin zum Beispiel, kann sogar mit dem Verdienst einer Hausangestellten verglichen werden. Aber von vielen Frauen wird die Arbeit als Hausangestellte nicht als gute Arbeit angesehen.Nicht wegen der Art der Tätigkeiten, sondern wegen der Anstrengungen.

Ist das ein Weg ohne Rückkehr?
Es wird nur eine Wende geben, wenn es eine große Veränderung in der Gesellschaftsstruktur gäbe. Es ist Tatsache, dass in Brasilien, auch bei sinkender Anzahl der Hausangestellten, irgendjemand weiterhin die Häuser putzen, das Essen kochen und das Geschirr abwaschen muss, falls die Hausherren diese Arbeiten nicht machen können. In den USA stellen die Familien Putzfirmen an, die fünf oder mehr Personen zur Verfügung stellen, um die Arbeit in einer Stunde zu erledigen.

Früher konnte ein begabtes Mädchen kochen, sticken, bügeln. Die Arbeit der abhängigen Frauen war eine enorme Last. Als die Frauen begannen, außerhalb des Haushaltes zu arbeiten, sprachen die Feministinnen von doppelter Arbeitszeit, weil die Arbeit wirklich verdoppelt wurde. In diesem Kontext sind die Hausangestellten an die Stelle der Frauen getreten, die außer Haus arbeiten gingen. Aber das wird wahrscheinlich nicht mehr so häufig vorkommen. Die Paare werden sich neu strukturieren müssen, oder sehr viel dafür bezahlen, dass jemand die Arbeiten täglich macht.

Hat der Rückgang des Angebotes an Hausangestellten die Formalisierung dieser Arbeiterklasse unter Druck gesetzt?
Information wurde demokratisiert und es gab Verbesserungen in der Bildung. All das hat dazu beigetragen, dass die Leute neue Ambitionen entwickelt haben. Mit den neuen Ambitionen haben sie begonnen etwas Anderes zu suchen. Es ist Fakt, dass Brasilien zivilisierter ist als früher. Zu Beginn erscheint die Demokratie nur wie ein Anstrich, aber mit der Zeit werden die Rechte erhöht. In dem Ausmaß, in dem wir unsere Demokratie perfektionieren, werden neue Rechte entstehen. Die Arbeit entwickelt sich in dem Ausmaß, in dem sich die Gesellschaft entwickelt. Tatsächlich wird eine Hausangestellte sehr oft als ein Bürger zweiter Klasse angesehen - und die Leute wollen das nicht mehr.

Es gibt Ökonomen die gegen den PEC der Hausangestellten sind, weil sie glauben dass Brasilien zuerst dafür sorge tragen sollte, dass das bestehende Gesetz zum Schutz dieser Arbeiterklasse eingehalten wird, bevor es ausgeweitet wird. Stimmen Sie dem zu?
Das neue Gesetz bedeutet einen zivilisatorischen Fortschritt, der spät kommt. Nicht alle der Hausangestellten haben Ferien, freie Tage oder einen Arbeitsvertrag, alles Dinge, die schon seit langer Zeit Gesetz sind. In anderen Worten: wir werden nicht durch den PEC zu einem wundervollen Land mutieren. Der Arbeitgeber nützt noch immer die Ignoranz des Arbeiters aus.

Kann der Einfluss des PEC auf den Markt Entlassungen auslösen?
Mit Sicherheit wird es viele Ungerechtigkeiten geben und viele Hausangestellte werden entlassen werden. Der einzelne Arbeitgeber kennt nicht die gesamte Arbeitsgesetzgebung und diese neue Situation wird das Arbeitsgericht mit Prozessen verstopfen. Denn jetzt werden die Hausangestellten einfordern wollen, was sie bis jetzt nicht hatten.

Kann man sagen, dass das Ende der Hausarbeit die größte Veränderung ist, die in den letzten Jahren am Arbeitsmarkt passiert ist?
Die Veränderungen waren eher konzeptioneller Art. Gegen Ende der 70er Jahre gab es hohe Arbeitslisigkeit im Land, aber die Arbeiter begannen zu verstehen dass, wenn sie sich vereinigten, die Dinge anders sein könnten. Die erste große Veränderung kam damit, mit der Geburt der Gewerkschaftsbewegung, um die Arbeiterklassen zu vertreten. Dann kam die bessere Schulbildung, die in den 90er Jahren aufgewertet wurde, als der damalige Bildungsminister Paulo Renato es schaffte, dass 96% der Menschen im Schulalter in die Schule eintraten. Aber trotzdem gab es nicht viele Arbeitsplätze. Heutzutage suchen Firmen Personen, mit längerer Schulbildungszeit - und das trifft auch auf viele zu, auch wenn die Qualität der Bildung noch nicht sehr gut ist. Eine andere große Veränderung kam in den letzten zehn Jahren, als die Menschen zu begreifen begannen, dass es auch eine Investition in die Zukunft der Familie ist, ihre Kinder in der Schule zu lassen. In der Vergangenheit begannen die Kinder mit zwölf Jahren zu arbeiten weil sie Geld verdienen mussten und konnten deshalb nicht lernen.

In den großen Hauptstädten liegt der Lohn der Hausangestellten insgesamt weit über dem Mindestlohn- und ist sogar höher als die Löhne anderer Berufe. Glauben Sie, dass dadurch die Hausarbeit lateinamerikanische Immigranten anziehen könnte?
Das glaube ich nicht. In anderen Ländern funktionierte diese Art der Immigration weil die Migranten nicht durch die Arbeit, sondern durch die Möglichkeit mehr zu verdienen als in ihren Herkunftsländern, angezogen wurden. Brasilien kann Arbeitskräfte importieren, aber wer möchte hier her kommen? Was für uns gut ist, erscheint nicht allen gut. Die Werbung die noch immer gemacht wird handelt von Tod und Gewalt. Die Vorstellung, die die Leute von unserem Land haben, ist nicht die von einem Ort der so vielversprechend ist wie die USA oder Europa. Viele Ingenieure kamen aus dem Ausland auf der Suche nach hohen Gehältern, weil es hier einen Mangel an diesen Arbeitskräften gibt. Aber diese Gehälter sind nicht die einer Hausangestellten. Man muss verstehen, dass die Verminderung der Anzahl an Hausangestellten sogar das Schicksal von Haiti sein wird, wenn das Land eine bessere Einkommensverteilung haben wird und demokratischer sein wird.

Die Figur der Hausangestellten in Brasilien ist sehr sinnbildlich – sie ist eine nationale Ikone. Das trifft auf die USA zum Beispiel nicht zu. Bis wann wird das andauern?
Brasilien steuert auf das Ende dieses Symbols zu. Hausangestellte nur für jemand, der viel Geld hat um sich das leisten zu können. Der Prozess hat hier schon begonnen und wird noch beschleunigt werden, hauptsächlich in São Paulo, wenn wir Vergleiche zum Beispiel mit Städten landwirtschaftlichen Lebens anstellen. Aber ich traue mich nicht zu sagen wie lange das dauern wird. Aber es ist eine zivilisatorische Forderung. Und das Leben ohne Hausangestellte wird eine Konsequenz daraus sein.



Ligia Tuon

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen